„Die Widerständigen“
Die Tragik hinter der Tragik – das Schicksal von Elise und Otto Hampel, das jetzt in der literarischen Verarbeitung von Hans Fallada am 17.11.2016 mit „Jeder stirbt für sich allein“ neu ins Kino kommt, ist bewegend, ja schmerzhaft. Meine Geschichte zum Film, zu Fakt und Fiktion und zum gegenwärtigen Bismark, wo Elise Hampels Heimat war – hier auch online aufbereitet und bereitgestellt.
erschienen im Wochenendmagazin der Magdeburger Volksstimme, 12. November 2016
Elise Hampel aus der Altmark trotzte mit ihrem Mann Otto der Nazi-Herrschaft. Das Kino setzt ihrem Mut nun ein neues Denkmal.
Von Mandy Ganske-Zapf
Bismark. Ein Brief in Maschinenschrift! Sie reißt ihn mit dem Daumen auf und liest: „Ihr Sohn ist infolge eines Rückenschusses für Führer und Volk gefallen.“ Anna Quangel liest es, weint und schreit. Es ist Sommer 1940 und sie lebt mit ihrem Mann Otto in der Berliner Jablonskistraße. Auf dem Küchentisch stehen noch die Butterglocke, zwei Brotbretter mit Messern und die Leberwurst vom Frühstück. Es ist ein Tag wie jeder andere eigentlich. Fabrikalltag, Haushalt, irgendwo anders der Krieg, in Berlin Hysterie, „Heil Hitler“. Nun ist der Junge tot und mit leerem Blick sinkt die Mutter auf den Stuhl. So beginnt bei Regisseur Vincent Perez der einsame, mühselige Widerstand dieser beiden Eheleute gegen die Nazi-Herrschaft. Still wächst er zunächst im Inneren, bis der erste Federstrich auf eine Postkarte kommt. Dutzende Karten sollen es werden.
Das Kriegsende aber bleibt fern, zu fern für ihr Überleben… Der Roman „Jeder stirbt für sich allein“ von Hans Fallada aus dem Jahr 1947, der Weltbestseller über ein Arbeiterehepaar, das dem Faschismus die Stirn bietet, kommt nun neu verfilmt ins Kino. Das Buch beruht auf den realen Personen Otto und Elise Hampel. Er Berliner, sie Altmärkerin.
***
„Am 8. April 1943
19 Uhr 27 Minuten ist der Einrichter Otto Hermann Hampel,
19 Uhr 30 Minuten ist die Schneiderin Elise Martha Hampel, geb. Lemme
in Berlin-Charlottenburg verstorben.
Todesursache: Enthauptung.“
zitiert aus den Sterbeurkunden für die zusammenfassende Chronik der Ereignisse, Stadt Bismark, von Rudolf Grützmacher (1993)
In Bismark hieß sie noch Elise Lemme, blieb für damalige Zeiten lange ledig und war als Hausmädchen und -schneiderin tätig. Hier, in ihrem Heimatort in der Nähe von Stendal, wohnte sie in der Schützenstraße, erzählt Reinhold Lau. Lau, hochgewachsen, 74 Jahre, schiebt sein Fahrrad die abschüssige Fahrbahn entlang und die Schirmmütze zurecht. Heute heißt sie Straße der Einheit und liegt ein gutes Stück hinter den Gärten, die seit eh und je anstelle des alten Stadtwalls zu finden sind. Auf der einen Seite reihen sich flache Wohnhäuser aneinander, auf der anderen toben Kinder im Schatten eines Fünfgeschossers. Der Bismarker Reinhold Lau hat alles gesammelt, was er über seinen Ort in den Zeitungen finden konnte. Einen ganzen Aktenschrank voll seit den 1970er Jahren. Zum Leben von Elise Lemme war lange nichts darunter. Erst in den 1990er Jahren begann sich die Zeitung zu füllen und Lau sammelte auch davon jeden Schnipsel. Mit Stimmen von Menschen, die Elise Lemme noch vor ihrer Eheschließung kannten, als „nettes Mädel“, eine, „die einsame Spaziergänge in der Natur“ liebte und ihren Bruder Kurt. Über Jahrzehnte war über ihr Schicksal geschwiegen worden. So lange, bis das Vergessen drohte. Es waren die Recherchen des einstigen Chronisten Rudolf Grützmacher, so um die Wendezeit, die erste Artikel möglich machten.
Reinhold Lau sammelt die Artikel nicht mehr nur, inzwischen schreibt er sie auch selbst und erinnert an diese Frau, die ihren Geburtstort 1937 verließ, um den Witwer Otto Hampel zu heiraten, einen Werksarbeiter in Berlin. Im vierten Jahr nach dem Wegzug begann das gemeinsame Schreiben. Als Fallada dieses Ehepaar zum Vorbild für seinen Roman machte, schrieb der Schriftsteller über ihren Mut, ihre Zweifel, die Angst, und darüber, wie sie all das zusammenschweißte – bis zum Schafott. Der Sammler Reinhold Lau kennt das Buch, er kennt aber auch die mittlerweile sehr umfassende Forschung zum Aufbegehren der Hampels. Weiß, dass ihr Leidensweg in Wirklichkeit noch viel schmerzvoller war. „Es gab die grausliche Entdeckung, dass sie nicht wie bei Fallada als aufrechte Kämpfer in den Tod gegangen sind“, sagt er. Dieses Schicksal hinter dem Roman, das noch viel tragischere Ende der echten Hampels, das lässt Lau nicht los. Wie das Todesurteil ein so heftiger Schock gewesen sein muss. Wie sie danach begannen, Bittschriften zu fertigen, in denen sie sich gegenseitig die Schuld zuwiesen – im letzten Moment auf Gnade hoffend, auf Gnade ausgerechnet von Hitler. Vor ihrer Hinrichtung schrieb Elise Hampel noch einen Brief an ihre Eltern, in dem sie sich von ihrem Mann lossagte. Er starb drei Minuten vor ihr. Lau sähe am liebsten eine Straße umbenannt, um ganz öffentlich und sichtbar dieser Widerständigen mit ihren so gebrochenen Leben in Bismark zu gedenken.
***
„Das ist wie bei einer Maschine. Ein Sandkorn allein hält die Maschine nicht auf, aber wirft man dann mehr Sand hinein und noch mehr, fängt der Motor an zu stottern. Ich stelle mir vor, dass ganz viele Sand ins Getriebe streuen.“ – „Du bist ein Romantiker Otto Quangel.“ – „Ich bin Mechaniker.“
„Jeder stirbt für sich allein“ (Film 2016)
Mehrfach wurde das Buch schon verfilmt. Der neue Kinofilm ist erstmals eine europäische Produktion und wunderbar besetzt mit dem Star-Schauspielerpaar Brendan Gleeson („Am Sonntag bist du tot“) als Otto und Emma Thompson („Im Namen des Vaters“) als Anna. Ihren Gegenspieler, Kommissar Escherich, verkörpert Daniel Brühl. Brühl gibt dem verlängerten Arm der Gestapo ein ruhiges wie beunruhigendes Gesicht. Er ist einer, der glaubt, nichts könne ihm etwas anhaben, so schlau und sicher fühlt er sich. Mitten in einer Diktatur. Er wird das bereuen. Regisseur Perez nimmt sich Zeit für die verfolgten Eheleute und für ihre Karten, die das einzige sind, worin sie noch Bedeutung sehen. Er lässt sie einfach schreiben: „Stoppt die Kriegsmaschinerie – Nieder mit dem Hitlerregime – Die Hitlerei bedeutet in der Welt Gewalt geht vor Recht“. Die beiden legen die Karten in Hausflure, stecken sie in Briefkästen und sind getrieben vom tiefen Wunsch, die Zeilen gingen irgendwann von Hand zu Hand, immer weiter, durch immer mehr Hände. Als heimlicher Appell, der helfen möge, den Krieg schneller zu beenden.
Es ist ein einfühlsamer Film, der sich weitgehend an die Vorlage hält und Falladas literarisches Denkmal einmal mehr aktualisiert. Fallada hatte sein Buch auf Basis von Gestapo-Akten geschrieben, die ihm direkt nach dem Krieg – wie man heute weiß mit ziemlicher Sicherheit nur in Teilen – zugänglich gemacht worden waren. Sein Buch mit dem Ehepaar Quangel gilt als Zeugnis dafür, dass es auch im Kleinen einen Widerstand gab, und zeigt zugleich, wie widersprüchlich der sein konnte: Der Krieg musste erst in den Alltag einer Familie einschneiden, damit sie andere zum Aufwachen bewegen wollen. In Wirklichkeit war es nicht der Sohn, den die Eheleute verloren, sie selbst waren kinderlos geblieben. Es war Kurt, der Schwager und geliebte Bruder, der an der Westfront sein Leben und die Eheleute umdenken ließ. Der Film kann Falladas Tiefe nicht gerecht werden, zeichnet aber gelungen nach, wie riskant und bewundernswert dieser Schritt war – mitten im Kriegsjubel dieser Diktatur den stillen Kampf anzusagen und beharrlich über zwei Jahre aufrührerische Karten zu schreiben, während die Waffen-, Mord- und Denunziations-Maschinerie grausam malmend und dröhnend läuft.
***
„Elise Hampel, geb. Lemme
27.10.1903 – 8.4.1943
Zum Gedenken an die mutige Auflehnung einer Bismarker Bürgerin und
ihres Ehemannes gegen Gewaltherrschaft und Krieg
Die Stadt Bismark“
Inschrift der Gedenktafel für Elise und Otto Hampel auf dem Friedhof von Bismark aus dem Jahr 2001, 2008 geschändet und nicht erneuert, Täter unbekannt
Für Ruth Rothe ist die Geschichte der Eheleute Hampel eine wie man sie modern wohl als Helden des Alltags bezeichnen könnte. Mit dem Unterschied, dass jedes Heldentum, und war es noch so klein, im Nationalsozialismus einem Todesurteil gleichkommen konnte. So wie für Elise und Otto Hampel; sie wurden nur 39 und 45 Jahre alt. Rothe, stellvertretende Ortsbürgermeisterin in Bismark, zierlich mit resoluter Stimme, sitzt in ihrem Wohnzimmer, draußen fahren Autos über die schmale Hauptstraße. Vor Jahren, so erzählt sie, sei im Gespräch gewesen, ein Gedenkschild am früheren Bismarker Wohnhaus von Elise Hampel anzubringen. Zustande gekommen war das jedoch nicht. „Wenn nicht damals, dann wäre heute etwas am Haus passiert“, glaubt sie und schüttelt nüchtern den Kopf über rechte Hetze, Anfeindungen ist sie selbst fast gewohnt. Ruth Rothe, 66 Jahre, ist politisch und gesellschaftlich sehr aktiv, Linkenpolitikerin und Vorsitzende im Altmarkkreis Salzwedel, Chefin des Heimatvereins zum Erhalt des hiesigen Kirchturms. Seit immer mehr Flüchtlinge auch nach Sachsen-Anhalt kamen, begann sie, gemeinsam mit anderen Bismarkern mehrere Flüchtingsfamilien zu unterstützen und es ist nun ein halbes Jahr her, dass Ruth Rothe morgens ein blaues Hakenkreuz an ihrer Hauswand fand. Direkt neben ihrer Tür zur Straße raus. Bei einer Mitstreiterin stand „Verräterin“ auf dem Gehweg. Der Ortsbürgermeister war ebenfalls betroffen. Das sei eine neue Qualität gewesen, „der letzte Poeng“, sagt Rothe. Sie fühlte sich regelrecht beobachtet. Bald darauf seien die Flüchtlinge umgezogen, hätten sich bedroht gefühlt. Ruth Rothe schildert, wie die Situation sich
verschärfte, die Stimmung sich hochschaukelte. Schließlich hätten die zuständigen Behörden schnell für den Wegzug entschieden. „Aber wir machen weiter.“ Als Netzwerk meint sie, für die Flüchtlinge, die nun in Stendal wohnen, aber auch darüber hinaus mit Projekten gegen rechts.
Ruth Rothe und Reinhold Lau erinnern sich gut an den trüben Novembertag im Jahr 2001, als Bismark – zu dem Zeitpunkt noch eigenständige Stadt, mittlerweile Teil einer großen Einheitsgemeinde – auf dem Friedhof eine Gedenktafel für Elise und Otto Hampel einweihte. Eine Spendensammlung hatte das ermöglicht. Damals hatten zahlreiche Zeitungsartikel, laufende Forschung mit Einblicken in das Leben der Hampels und aufsehenerregende
Buchlesungen breites Interesse für ein Gedenken an das Paar geweckt. Die Tafel sei schon ein erstes, würdiges Zeichen gewesen, fand Lau. Leid tat ihm, dass sie in einer Ecke des Friedhofs stand, fast versteckt im Schatten dreier Ahornbäume. „Warum? Ich habe mir dann gedacht, es muss aus Angst so gewesen sein. Vor dem, was da kommen könnte.“ Sieben Jahre später wurde die Tafel geschändet, Lau hat die Bruchteile noch gesehen, bevor sie ohne großes Aufsehen weggeräumt wurden. Ein kleines Holzkreuz hält seitdem unaufgeregt die Stellung. „Elise Hampel, geb. Lemme, hingerichtet am 8. April 1943, geb. am 27. Okt. 1903“, lautet die Inschrift. Kein Wieso, kein Warum. Von dem Leidensweg dahinter zu erzählen, bleibt in diesen Tagen wieder Fallada überlassen – und dem Kino.